Verantwortung
Von Michael Brückmann
Ich würde viel lieber über Fußball reden.
Und das, obwohl ich (das weiß ja jeder) noch nie ein Fan war und (wie meine Kollegen denken) ein hoffnungsloser Fall bin (Fußball betreffend!!!).
Verantwortung?
Es gab tatsächlich einmal eine Zeit, da galt Verantwortung als „Projekt“, als etwas „Neues“, als das neue Schulfach in der 10. Klasse. Ich sollte den praktischen Teil des Projekts leiten und darum auch etwas dazu ins Jahrbuch schreiben (ohne Schönreden, das war der klare Auftrag meines lieben Kollegen Senftinger).
Das kommt mir jetzt so vor, als würde ich von einer längst vergangenen Zeit erzählen: … wisst ihr noch, damals, …als Verantwortung noch das Projekt des Reli- und des Ethiklehrers war? Das komische Fach,… das noch nicht einmal benotet wurde.
Mensch, waren das noch Zeiten! Erinnerst du dich?
Mal ehrlich, das war am Anfang ganz schön hartes Brot. Ich musste Überzeugungsarbeit leisten, mich gegen Widerstände durchsetzen. Frau Lucius hat mir mehr als einmal den Rücken gestärkt.
„Man geht doch in die Schule, um Erfolg zu haben, einen guten Job später und dann ein gutes Leben. Und jetzt sollen wir plötzlich alte Leute besuchen und kleine, nervige Kinder betreuen?… Zeitverschwendung!“
Beim Elternabend wurde ich gefragt, ob mir das Fach Spaß mache. Ich habe sowas von spontan „Nein“ gesagt, dass ich selbst, wegen meiner brüsken Reaktion, erschrocken war. Dann habe ich aber auch erklärt warum: Ich mache das nicht aus Spaß, ich mache es, weil ich es für notwendig halte. Diese Gesellschaft zerspaltet sich und entsolidarisiert sich, das geht nicht gut, … darum!
Verantwortung.
Verantwortung war das erste Schulfach, das wegen Corona ausfallen musste. Ein Anruf der Seniorenresidenz machte den Anfang: „Tut uns leid, Herr Brückmann, wir können Ihre Schüler hier nicht reinlassen, das können wir nicht verantworten“.
Und dann nahm alles seinen Lauf. Die Schulen wurden geschlossen, dann die Geschäfte, die Wirtschaft wurde runtergefahren, Klopapier wurde zum Halt der Nation.
Am Anfang war eigentlich nur von Fußball die Rede. Irgendwelche Meisterschaften (keine Ahnung) wurden abgesagt, Millionenverluste… was soll nur aus den Vereinen und den armen Spielern werden, … ojeoje.
Es hat gedauert, bis endlich über die gesprochen wurde, die jetzt wirklich wichtig sind: Die Medizinerinnen und Pfleger, die Kassiererinnen und Erntehelfer. Heldentum wandelt sich.
Und dann wurde so nach und nach immer häufiger von Solidarität gesprochen und von Verantwortung. Auch Werte wandeln sich. Es drang langsam, aber überzeugend bei vielen, vielen Menschen durch, dass es nicht nur um mich geht, sondern, dass mein Verhalten für alle von Bedeutung ist, dass alles eben zusammenhängt und dass das kleinste Kind sich einschränken muss, damit Opa und Oma gesund bleiben.
Verantwortung!
Ich bin echt hin und hergerissen: Hat das Virus was Gutes, oder ist das nur eine einzige grauenhafte Katastrophe? Und was wird daraus noch werden? Es stehen so viele Existenzen auf dem Spiel in jeder Hinsicht, auch das eigene Leben. Da habe ich große Schwierigkeiten, das Gute darin zu beschwören. Ich weiß ja, ich neige zum Schönreden und es ist eben auch irgendwie mein Job, aber es fällt mir schwer, schwerer als je zuvor.
Eins ist klar: Das Virus hat eine Verantwortungsbereitschaft ausgelöst, die ich mir nie hätte träumen lassen. Im Namen der Verantwortung sind wir zu einer ungeahnten Selbstdisziplin und zu ungeahntem Verzicht bereit. Und wir erleben die Selbstwirksamkeit unseres Tuns: wir können das, wir schaffen das auch und vielleicht kriegen wir dann auch das andere in Griff: den Klimawandel, die Flüchtlingskrise, die Generationengerechtigkeit und den lästigen, sinnlosen Rechtsradikalismus.
Ohne Schönreden,… ein Versuch:
Ich würde viel lieber über Fußball reden (auch ganz ohne jede Ahnung davon), Spaß haben und wünschte, das alles wäre nicht wahr.
Verantwortung… nee, das macht keinen Spaß, ist aber notwendig.
Und wir kriegen das hin, auch hier im Internat. Wir haben gute Ideen, wir haben Durchhaltevermögen und Zusammenhalt.
Das predigen wir doch schon lange: Achtsamkeit, Leistungsbereitschaft, Kooperation und Verlässlichkeit.
Jetzt ziehen wir das einfach durch. Weil wir das können und weil wir gar keine andere Wahl haben. Das ist Verantwortung.