Im Rahmen des Themenfeldes „Geographische Entwicklungsforschung“ ist die Auseinandersetzung mit Ländern unterschiedlicher Entwicklungsstände, den damit verbundenen Strukturen und Problematiken sowie Lösungsansätzen im Kerncurriculum der Gymnasialen Oberstufe vorgesehen. Somit eignete sich der Vortrag von Anne Stellberger, Germanistikstudentin an der JLU (Justus Liebig Universität Giessen), Emil Herrmann (Soziologiestudent JLU) und Paul Ndimande, Jurist aus Zimbabwe mit Studium in Südafrika, sehr gut, um die ErdkundeschülerInnen der E-Phase, Q1 und Q3 über gesellschaftliche Strukturen und Prozesse in Südafrika zu informieren.
Der Vortrag bot eine Mischung aus historisch-politischem Hintergrundwissen über Post-Apartheid-Strukturen mit Fokus auf Informal Settlements einerseits und Erlebnisberichten über die aktuelle Situation in Südafrika andererseits.
Die Referenten lieferten zunächst einen Überblick über Südafrika und Grundlagenwissen über Politik und Gesellschaft, vor allem im Bezug auf das Apartheid-System und die Zeit danach und bis heute. Noch immer bilden sich manifestierte Strukturen in der heutigen südafrikanischen Gesellschaft ab, noch immer sind Lebensumstände und Lebenschancen ungleich verteilt und das gesellschaftliche Zusammenleben weit weg von Mandelas Traum der Rainbow Nation.
Die Studierenden schilderten ihre Erfahrungen, die sie während einer Exkursion ins Township Marikana (Potchefstroom) erlebten. Neben der Schilderung der Lebensumstände und der Problemlagen (Armut, Kriminalität, Infrastruktur, Wasserversorgung etc.), definierten sie zahlreiche Entwicklungshemmnisse – Gründe, wieso eine positive Entwicklung dort so schwierig ist.
Marikana wurde von den Referenten als besonderes Informal Settlement identifiziert, da die Bevölkerung hier teilweise großes Engagement zeigt und diverse DIY-Projekte initiiert hat, wie beispielsweise die Installation einer einfachen Wasserleitung in das Township. Dieses Engagement und der positive Umgang mit der eigenen Situation trugen sicherlich dazu bei, dass sich die Studierenden auch im Nachhinein gerne für Marikana und seine Bewohner einsetzen wollten. Sie berichteten von ihren Eindrücken und Gefühlen vor Ort – bspw. von Erstaunen ob der Gastfreundschaft, über Unwohlsein als weiße Studenten in einem Nachtclub der schwarzen Bevölkerung, über Entsetzen ob der offensichtlich ungleichen Verhältnisse in allen Bereichen des alltäglichen Lebens – und das auch heute noch – nach Mandela.
Insbesondere interessant und eindrücklich am gesamten Vortrag waren die verschiedenen Blickwinkel der Referenten– einerseits die der deutschen Studenten, andererseits der Blick eines jungen Afrikaners, der ehrlich und emotional über seine persönlichen Erlebnisse berichtete und ein authentisches Bild von Rassismus in Südafrika und den Lebenswirklichkeiten der schwarzen Bevölkerung zeichnete. Er beschrieb sich selbst als traumatisiert von seinen Kindheitserfahrungen und blickt mit Sorge in die Zukunft, denn er bezweifelt, dass der Teufelskreis aus Hass und Angst sich in näherer Zukunft durchbrechen lässt. Positive Entwicklungen – klar – aber eine nachhaltige Aufarbeitung der Geschichte? Dahinter verbirgt sich wohl viel mehr als einseitige Entwicklungshilfe.
Aus seiner Sicht sind Studierende wie Anne Stellberger und Emil Herrmann wichtig, um auch in den ehemaligen europäischen Ländern der Kolonialmächte über Südafrika mit allen Problemen und Realitäten zu sprechen und Bewusstsein zu schaffen, damit dies auch irgendwann im Land selbst flächendeckend der Fall sein kann. Information und Austausch über Vorträge und Gesprächsrunden zeigen auch unseren SchülerInnen auf, wie wichtig es ist, einen Blick über den Tellerrand zu werfen; dass es wichtig ist, aktiv zu werden und sich zu engagieren.
Die Gruppe der Studierenden wollten nach Beendigung ihrer Exkursion nach Südafrika mehr – in Gesprächen mit den Bewohnern kristallisierte sich heraus, dass neben einer besseren Infrastruktur und Wasserversorgung auch Sicherheit ein wichtiges Grundbedürfnis der Menschen darstellt. Der von den Studierenden initiierte Entwicklungsimpuls für das Township Marikana besteht aus der Errichtung eines Flutlichtmastes. Dieser soll dazu beitragen, die Situation in der Siedlung für die Bewohner sicherer zu machen und auch die Kriminalität einzudämmen. Hierfür haben Sie sich mit Pallium e.V. einen verlässlichen Partner gesucht und nehmen sich für die Zukunft vor, beides voranzutreiben: Aufklärung über Südafrika und Anstoß zum Engagement sowie das Sammeln von Spenden. Zur Errichtung des Flutlichtmastes trug auch das Internat Lucius mit einer Spende bei.
(Elisabeth Michel)