Der Ruf des hessischen Nordens und seiner Bewohner ist nicht immer der Beste: kalt, anonym, steif, schwermütig, engstirnig, launisch – Kassel. Doch gerade, weil in schwierigen Umgebungen Menschen zur Gemeinschaft werden können, beschlossen wir, nach der Neuverteilung der 9. Klassen einen Ausflug in die nordhessische Großstadt zu wagen. Würden unsere jungen Rhein-Mainländer der Kälte hessisch Sibiriens getrotzt haben – so die Hoffnung – würde selbst das letzte Eis einer wärmenden Klassengemeinschaft weichen. Also machten wir uns am 7. März 2019 inmitten des Wetterauer Vorfrühlings auf gen Norden (nicht ohne die Hausmeister vorher um eine Prüfung der Wintertauglichkeit der Internatsbusse zu bitten). Im Rahmen unseres kalt… ähm … coolen Ausflugs stand die Besichtigung des astronomisch-physikalischen Kabinetts und des Technikmuseums im Mittelpunkt. Ohne Stau und Schneeverwehungen kamen wir tatsächlich am späten Vormittag wie geplant in einer überraschend sonnenbeschienenen, aber kalten und beinahe sturmumwehten Stadt an. Zunächst ging es in die Fuldaauen in die Orangerie, um die beeindruckende Sammlung des astronomisch-physikalischen Kabinetts in Augenschein zu nehmen. Neben allerlei Instrumentarium zur Himmelsbeobachtung und Zeitmessung zog das große Foucaultsche Pendel im Eingangsbereich die Aufmerksamkeit auf sich. Neun Neuntklässer neun Minuten stillschweigend stehend starren zu lassen, gelingt im heimischen Unterricht statistisch nie. Doch eine Lateinklasse wäre keine Lateinklasse, wenn nicht schnell der Wettbewerb im Entziffern der ausgestellten Astronomiebücher aus der Frühen Neuzeit begonnen hätte. Nun ließe sich über die Bedeutung des Latein als europäische Bildungssprache referieren, doch das ließe sich eben auch lassen. Fest steht: Den Lateinlehrer erfreute der Ehrgeiz. Offenbar lohnt sich das üble Vokabellernen mitunter doch – per aspera ad astra. Im letzten Abschnitt des Museums waren „moderne“ Telekommunikationsgeräte zu betrachten. Wer nun meint, die Generation Smartphone sei im E-lysium angekommen, der hat weit gefehlt, galt es doch, eine Sprechverbindung mit zwei Wählscheibentelefonen zu etablieren. Erneut erstarkte der Ehrgeiz der Lucius-Recken (und einer Reckin). Die beherzte Unterstützung der Museumswärterin verhalf nach einer guten Viertelstunde dann tatsächlich zur gewünschten Mediennutzung und ein „Hallo“ ließ sich aus dem orangenen Bakelithörer vernehmen. Seelig sind die, die Sprachnachrichten per WhatsApp verschicken.
Dem medienkundlichen Nachsitzen folgte eine kurze Wanderung durch den Kurfürstenpark und die unvermeidliche Vortragsreihe des Lateinlehrers zu den dort befindlichen Statuen von Charakteren der antiken Mythologie. Erst danach begann die ersehnte Erkundung der Innenstadt in Kleingruppen für die Schüler und die Schülerin. Für den Erzieher und den Lehrer begann die ersehnte Fahrt ins Technikmuseum danach erst. In den henschel’schen Hallen konnten wir ab 14:00 Uhr allerlei exotische Exponate der nordhessischen und gesamtdeutschen Technikgeschichte begutachten. Besonderer Charme des Technikmuseums in Kassel ist, dass die Werkhallen der Henschelwerke quasi im Urzustand verblieben sind und de facto nach der Werksschließung nur durchgefegt wurden. Es findet sich also kein Touristenpomp sondern authentisches Industrieflair. Allein die eigentlich nicht zur Ausstellung gehörigen Lastenkräne waren beeindruckend. Beim besteigen des Führerhauses der alten Dampflok konnte man selbst in den beinahe erwachsenen Augen unserer Neuntklässler nochmal ein kindliches Leuchten sehen.
Den Abschluss des Tages bildete eine actionreiche Lasertag-Partie, die uns allen nochmal den Schweiß auf die Stirn trieb. Spätestens jetzt war die nordhessische Kälte vergessen und die Vorbehalte gegen Kassel aufgeweicht. Den für die Heimfahrt geplanten Vortrag über die guten Studienbedingungen in Kassel hatten die Schüler und die Schülerin auf den Rücksitzen leider verschlafen. Wiederkommen würden wir.