Lucius goes digital – unser Mediencurriculum
„Denn wer dieses neue Medium nutzt, dem pflanzt es durch Vernachlässigung des Gedächtnisses Vergesslichkeit in die Seele, weil er im Vertrauen darauf von außen her durch geschriebenes Wissen, nicht von innen heraus sich selbst die Erinnerung schöpft.“
Das obige Zitat stammt – anders als sich vielleicht vermuten ließe – nicht aus einem aktuellen Artikel des gemeinhin bekannten Gehirnforschers und Medienkritikers Manfred Spitzer, sondern wurde im ersten Jahrtausend vor Christus vom griechischen Philosophen Platon aufgeschrieben. Platon berichtet in seinem Dialog Phaidros von dem ägyptischen Gott Thot, der für den König Thamos die Schrift erfand. Als Thot dem König seine Erfindung anpries, war dieser überaus skeptisch und begegnete dem Gott laut Platon mit der eingangs zitierten Medienkritik. So wie König Thamos vor einer literarisierten Demenz warnt, warnen Medienkritiker wie Manfred Spitzer heute vor einer digitalen Demenz unserer Kinder und uns.
Nun haben wir hinsichtlich der Schrift die komfortable Situation, auf 5000 Jahre Geschichte zurückzuschauen und ihren Erfolg konstatieren zu können. Bei den digitalen Medien ist die Situation eine andere. Wir schauen gerade erst über den Rand in ein Fass hinein, das wir gerade aufgemacht haben. Ob dieses Fass aus Pandoras Rumpelkammer stammt oder ob es ein neues Geschenk des Menschenfreundes Prometheus ist, hängt vom persönlichen Standpunkt ab und kann zum jetzigen Zeitpunkt von niemandem abschließend beantwortet werden.
Fest steht, dass Smartphone, Tablet und Laptop im Jahr 2020 aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sind und nur hartgesottene Asketen sich ihnen standhaft verweigern. Nicht zuletzt im Onlineunterricht während der Corona-Pandemie zeigte sich offen ein Potenzial der neuen Technik. Die Thesen und Erkenntnisse von Kritikern wie Spitzer über die negativen Auswirkungen digitaler Medien auf die Entwicklung unserer Kinder und der Gesellschaft sind fraglos ein wichtiger Impuls, um nicht unbedarft kopfüber in die Digitalisierung zu stürzen oder – noch schlimmer – diese einfach unbedarft geschehen zu lassen.
Es gilt heute also mehr als zuvor, Verantwortung zu übernehmen, um die Potenziale der Digitalisierung zu nutzen, unsere Kinder aber gleichzeitig vor ihren Nebenwirkungen zu schützen. Dazu hat sich am Internat Lucius eine Arbeitsgruppe gefunden, die intensiv an einem hauseigenen Mediencurriculum arbeitet und bei der Schaffung technischer Voraussetzungen für modernen Unterricht berät. Dieser Prozess ist nie abgeschlossen und bedarf einer stetigen Weiterentwicklung. Hierbei sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „moderner Unterricht“ nicht per se „digitaler Unterricht“ meint. Klare Unterrichtssettings, strukturierte Arbeitsphasen und die Förderung der Fähigkeit zur Kontemplation bedürfen keiner digitalen Medien. Kooperationsfähigkeit, Vertrauen und soziale Beziehungen können digitale Medien nicht befördern. Gleichwohl wollen wir Schüler*innen an unserer Schule heranbilden, die nach ihrem Schulabschluss über die benötigten Kompetenzen und Handwerkszeuge für das Studium, den Arbeitsmarkt und die digitale Gesellschaft verfügen.
Dazu geht die Schule einen eigenen Weg. Ein auszeichnendes Merkmal unserer Internatsschule ist, dass seit diesem Schuljahr bereits in Klasse 5 ein Medienkundlicher Unterricht stattfindet. Dort werden den Kindern Grundlagenkenntnisse zur kompetenten Bedienung digitaler Medien vermittelt. Dieser Unterricht wird bis Klasse 6 fortgeführt. Somit können die Kinder auf ein solides Fundament aufbauen, wenn von ihnen im Fachunterricht die Nutzung digitaler Medien verlangt wird. Dieses Vorgehen bietet den Vorzug, dass einerseits keine Fachunterrichtszeit für die Vermittlung von Bedienfähigkeiten verloren geht und andererseits unsere Schüler*innen selbstbewusst an Aufgaben mit digitalen Medien herantreten können. Damit reagieren wir auf ein Defizit im hessischen Kerncurriculum. Dort wird für alle Fächer schlicht vorausgesetzt, dass die Schüler*innen den Umgang mit Hard- und Software beherrschen. Ab Klasse 7 wird die Arbeit mit digitalen Tools vermehrt im Unterricht verankert. Während unsere Schüler*innen so ihre Nutzungskompetenzen trainieren, werden sie zusätzlich schrittweise an die Produktion von eigenen digitalen Formaten wie Präsentationen, Videoclips oder Lernspielen herangeführt. Begleitend werden die Schüler*innen zur kritischen Reflexion ihrer Mediennutzung befähigt. Dazu werden Themen wie „The digital Age“, Bildmanipulation oder Fakenews im Unterricht behandelt. Ab Klasse 9 ist es den Schüler*innen freigestellt, im Unterricht anstelle von Block und Heft digital mit einem Tablet oder Laptop mitzuarbeiten. Wer dies tun möchte, muss sich vorher in der Tablet-AG bei Frau Dr. Strauß qualifizieren. Auch hier ist der Erwerb der nötigen Bedienfähigkeiten auf die Zeit außerhalb des Unterrichts ausgelagert. Alle neu qualifizierten Schüler*innen werden in ihrem Fortschritt und ihrem verantwortungsbewussten Umgang mit der neuen Technik von allen unterrichtenden Lehrkräften genau beobachtet und wir halten im Kollegium regelmäßig Rücksprache. Wer abgelenkt erscheint oder im Unterricht nicht produktiv arbeitet, darf wieder zu Stift und Papier greifen. Ein weiteres freiwilliges Angebot ist die Medien-AG. Dort werden je nach Bedarf die Wartung und Reparatur von technischen Geräten geübt oder Grundlagen im Programmieren vermittelt.