Kuschelig wie im Tigerkäfig
Erfahrungsbericht „Homeschooling“ von Sabine Münstermann
Die drei Kinder sind tagsüber in der Schule, der Älteste die Woche über gar nicht daheim – weil bei Lucius, die Eltern bei der Arbeit. Doch wochenlang war alles anders. Da ging nur noch der Vater als Selbstständiger aus dem Haus, die Kinder waren zunächst ob der Schulschließungen daheim, die Mutter im Homeoffice ebenfalls. Klingt kuschelig? Nun ja, sagt Sabine Münstermann. Ungefähr so kuschelig wie in einem Tigerkäfig. Der Vergleich passt. Denn die Mutter fühlte sich während der Corona-Krise zeitweise durchaus als Dompteur.
Familien werden das kennen: Meistens fehlt einer auf dem Bild. Dieses seltene gemeinsame Familienfoto von Münstermanns entstand vor einem Jahr im Mai 2019 anlässlich der Konfirmation des Mittleren. Wie die eigentlich für kommendes Jahr anstehende Konfirmation der Jüngsten ablaufen soll, steht bislang noch in den Sternen…
„Corona-Ferien“, so hat unser Mittlerer (noch kein Lucius-Kind, aber probegewohnt hat er schon) anfangs die Schulschließung genannt und sich schon ausgemalt, wie wunderbar das alles wäre: Endlich mal 48 Stunden mit den Kumpels durchzocken und tagelang nicht aus dem Pyjama rauskommen. Über die Sache mit dem Pyjama haben mein Mann und ich sogar kurz nachgedacht. Eigentlich könnte man ja mal ein bisschen nachlässig sein. Dann aber dachten wir: Wenn wir künftig wochenlang aufeinander hocken, wäre das Bewahren von zivilisatorischen Mindestanforderungen vielleicht doch keine schlechte Idee.
Mein Mann und ich zermarterten uns zudem das Hirn, wie ich die künftigen Tage würde regeln können, wie daheim arbeiten, ohne dass ich parallel im Hintergrund aus diversen Zimmern Geschrei würde hören müssen à la „Mach ihn platt, Alter!“ (besagter Mittlerer, 16 Jahre alt, am PC), „Mama, ich chill doch nur“ (der Kommentar des Ältesten, 18 Jahre alt, kommendes Jahr Abiturient, zu dröhnender, mir völlig unbekannter Musik) oder „Warte, ich mach das Video nochmal an und dann üben wir die Tanzschritte zusammen“ (unsere Jüngste, zwölf Jahre alt, per Skype mit ihren Freundinnen).
Wir entwickelten einen Stundenplan. Der bei seiner Vorstellung nun nicht eben auf große Gegenliebe stieß. Vom täglichen Punkt „Oma anrufen“, mal abgesehen – dem kamen alle Kinder gerne nach. Die Großmutter ist nämlich die einzige, die sie noch haben – und sie lebt 1000 Kilometer weit weg in Frankreich. Was unseren Nachwuchs doch ziemlich beschäftigte. Und sich unter anderem in den Kunstaufgaben (Der Mittlere etwa zeichnete in seiner Version von Goyas „dunklen Welten“ einen Horrorgestalt mit einem überdimensionalen Coronavirus in den Händen) niederschlug.
Kunst hatte in unserem Plan ebenso seinen Platz wie alle anderen Fächer. Der Sport kam vielleicht ein bisschen zu kurz. Aber prinzipiell waren mein Mann und ich mit unserem für die Kinder erstellten Regelwerk zufrieden. Zusammengefasst umfasste es (abhängig vom vorgegebenen digitalen Unterricht) eine erste Lerneinheit, dann 15 Minuten Pause, eine zweite Lerneinheit, dann Mittagessen, schließlich eine dritte Lerneinheit.
Großartig – jedenfalls auf dem Papier. Ich brauche aber wohl nicht weiter zu erwähnen, dass ich – neben meinem eigentlichen Job – zwischendurch wahlweise als Entertainer, Motivator, Pädagoge, Gefängniswärter und Lehrer für sämtliche Schulfächer diverser Gymnasialklassen fungierte. Und zudem Papierwarenfachverkäuferin war und IT-Spezialistin für zahlreiche Online-Plattformen wurde, denn nicht alle Schulen konnten digital so schnell agieren wie Lucius, aber das nur nebenbei.
Jedenfalls: Erst nach Abarbeiten des Stundenplans wurden die technischen Gerätschaften zum Zocken freigegeben. Das nicht nur aus pädagogischen Gründen, sondern auch, weil unser privates WLAN recht fragil ist. Meine Sorge, dass mir der Rechner abstürzt, weil der Nachwuchs online irgendwelche Spiele spielt, während ich – ich bin Journalistin – gerade eine Zeitungsseite bastle, war doch recht hoch.
Tatsächlich, und das verwunderte mich durchaus, lief die Sache mit dem strukturierten Tagesablauf halbwegs – auch wenn Begeisterung natürlich anders aussieht. Das eine oder andere Murren musste ich eben einfach aushalten.
Immerhin: Wir verhungerten nicht – obwohl ich nicht kochte. Während des Lockdowns kochten die Kinder nämlich selbst. Allerdings nach eigenem Speiseplan. Ich schreibe jetzt nicht, was auf ihrer Karte stand, aber man wird sich denken können, dass Boeuf Bourgignon nicht dazu gehörte. Und dass die Küche hinterher auch nicht unbedingt meiner eigentlichen Dreckstoleranzgrenze entsprach – aber Schwamm drüber. Irgendwo muss man Abstriche machen.
Schulisch lief es bei unserem Neuntklässler durchwachsen (Pubertät: Muss ich das wirklich näher erläutern?), bei unserer Siebtklässlerin entspannt (Ja, der Mädchen-Bonus, ich weiß, dafür bin ich auch dankbar), aber definitiv am unaufgeregtesten bei unserem Ältesten, dem Lucius-Schüler Max. Nachdem er seine digitalen Lernzugänge organisiert hatte, nahm er an seinen Teams- oder was weiß ich-Sitzungen teil, machte seine Aufgaben, zwischendurch hörte ich ihn mit Klassenkameraden chatten, wenn’s um irgendwelche gemeinsamen Präsentationen ging.
Er half sogar seinen jüngeren Geschwistern. Mathe, Englisch, PoWi, Chemie – mein Ältester entpuppte sich als patenter Nachhilfelehrer. Und als junger Mann mit feinem Sinn für guten Witz. Wenn auch nicht unbedingt für meinen. Denn mein Geschichte-Leistungskursler hielt es nicht für nötig, seinen jüngeren Bruder zu korrigieren, als der die Karikatur eines über dem Parlament Peitsche-schwingenden Bismarcks wie folgt interpretierte: „Bisschen wie Du, Mama, oder?“ Sag ich doch: Dompteur….